Mittwoch, 31. Dezember 2014

gedanken-labyrinth

ungewollt und immer wieder
unerwünschte bilder
samen grau mir krämpfe
durchs gedärm  obwohl
ein feuer im kamin obwohl
so unausweichlich doch
das aufwärts scheint
als zög mich meine hand
am schopf aus dem morast
und schlüge meine andere
mit dem hammer drauf
nur dass der nächste fall
an tiefe nichts gewänne


© beatrix brockman

Dienstag, 23. Dezember 2014

allein in der menge

die augen der anderen
spiegeln deine eigene angst
verstört schreiten die einen
in der menge auf und ab
verängstigt kauern andere
auf unbequemen stühlen
gierig spült man dort mit cola
fast food hinunter
stopft so die angst
tief in fette bäuche

gemeinsam vegetieren wir
im wartesaal der ängste
starren auf den ticker
wo die namen unserer liebsten
erst erscheinen, dann verschwinden
harren auf die guten
worte, darauf dass sich lungen
bis in flügelspitzen füllen
und sich die starre langsam löst


©beatrix brockman

haltlos

dein herz lauscht
auf den atem nebenan
stolpert über wehes stöhnen

furcht — im spiegel dir
nicht ins gesicht geschrieben —
ritzt neue rillen in die vinylscheibe

deiner seele. die platte dreht
und dreht sich im dissonanten
klang gefurchter angst


© beatrix brockman

Montag, 21. Juli 2014

Christa Johanna Blome

beweint habe ich
deinen tod
kräftig und laut

geschluchzt
herausgeschrien
das ungerecht

das dich schon nahm —
warst lieb mir
und auch wichtig

eine freude dir
bereiten war
eine große freude mir

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

nun ist's allein das
niemalsmehr
das fehlen deiner

stimme, deiner
zarten gesten
das mal hier mal

da den atem  mir
nimmt und auch
den trost verbleicht

dass niemalsmehr
dir widerfährt
ein solches leid


©beatrix brockman

Mittwoch, 16. Juli 2014

STOP

STOP bemoaning 
the road not taken — celebrate 
 the one you took



© beatrix brockman

Montag, 14. Juli 2014

Brief an einen Tätowierer

so oft träume ich von einem baum auf meiner haut, der starke stamm links tätowiert von der schulter zu den lenden.  ein ast, er quert den rücken, reckt seine knospen in den rechten arm.  daran die blätter meiner lieben - für jeden eins oder doch lieber keins?
ein herabgefallenes soll liegen auf der rechten hüfte. es deutlicht die zäsur, den riss der unverwundbarkeit. denn nie zuvor betraf ein krank, ein sterben und ein tod die, die zu meinem kreis der meinen stets gehört.  als fiel dies erste blatt war es nicht "tod"; es war das sterben jenes wissens, dass "es" nur andere trifft. es war das beten, das vergeblich war, auf gottes taube ohren stieß, und das das joch nicht von dem kinde nahm, das meine schwester in den armen hielt.
dann fiel das zweite blatt.  krebs war durch den riss gedrungen,  zerfraß die nicht so heile welt, und nahm sie mit, die mutter eben dieses kindes, das lebenslang die mutter brauchen wird. sechs jahre brauchte dieses blatt für seinen weg vom ast zur tätowierten erde und oft ist mir als hing' es noch daran.
auch meines vaters blatt ward tätowiert mir auf die seite. auch dieses blatt ist längst noch nicht verdorrt in meinem herz und flimmert grün noch auf der iris meiner augen.  die aber wollen schon die zukunft schaun. verschämt und voller furcht frag' ich mich dann, wie wohl das nächste blatt dann heißen wird und wohin der wind des lebens es mir tätowiert.

 (2011)


erst gestern fiel ein neues blatt, ein herzensblatt, vom lebensbaum, das einer anderen auch wurzel war. noch lange wird's nicht dorren, denn gestochen auf die haut in sattem grün wird es memento sein. erzählen von dem los, das ihr kein leichtes war und doch das lächeln ihr nicht nahm.

14.07.2014


© beatrix brockman

Mittwoch, 9. Juli 2014

Plötzlich gewahr



es ist ein spiel 
dessen regeln 
die anderen 

je nach lust und 
laune ändern — 
mal rollen sie 

rote teppiche, mal 
bananenschalen 
mal eisbahnen 

für dich aus




©beatrix brockman




Dienstag, 24. Juni 2014

Knochendichte

Diagnose: Osteoporosis
Patient: das Leben
...---...---...---...---...

mir scheint die knochen
meines daseins werden
von tag zu tag poröser

als der krebs mir die
schwester holte, hatten
die termiten des lebens

ihren ersten auftritt
doch ich hielt sie für ameisen
und streifte sie ab

als sie sich durch vaters
herz und aorta fraßen
nisteten sie auch in meiner

brust — die lungen wollten
sich nicht füllen und auch der
 magen verweigerte sich

heute, fünf und vier sommer
später haben sich die termiten
durch mein lebensskelett

gefressen. dieses jahr scheint
ihr erster klimax zu sein.  nach
der hüfte, die im januar zerbarst,

und den sicheren gang
 mit sich nahm, nagen sie
nun am brustbein, drücken ihr

nest erneut auf lunge und magen
krümmen das kreuz, knicken
das haupt, das dem befehl

erheb dich schon lange
nicht gehorcht. es knirscht in
den knochen des lebens

...---...---...---...---...

welchen  kammerjäger soll ich rufen?



©beatrix brockman


Bone Density



Diagnosis: Osteoporosis
Patient: Life

It seems that the bones of my existence lose more and more of their density.

When cancer took my sister, the termites of life hogged the stage for the first time, but I thought they were ants and shook them off.  When they ate their way through my father’s heart and aorta, they also built a nest in my chest.  Lung capacity decreased to a five-buck oxygen filling, the stomach refused admittance to anything but crumbs.

Today, five and four summers later, the termites have eaten their way through the skeleton of my life. After breaking its hip, forcing future steps into insecurity, they seem to have reached their first climax this year.  Now they are chewing on the inside of life’s sternum, building a nest through lungs and lining of the stomach, bend the spine, lower life’s head – which has not listened to “Chin Up” in eons anyway.

…they creak, the bones of my life, I wonder which termite treatment might be appropriate.


©beatrix brockman

Montag, 16. Juni 2014

trauer: memento mori

und sie bricht aus deiner brust
wie ein vulkan, wälzt sich
über lippen während tränen
heiße lava weder kühlen noch
ihr einhalt bieten können

siehst du gräber, wünscht dir
arme dich noch einmal zu um
schließen, rufst du namen in
das nichts; keine geste, ist
kein echo. ihre antwort hörst

du nicht. schreist du, schluchzt
du dich durch leere räume —
noch nicht fertig mit den letzten,
die so oft sich schon gejährt, und
voll angst vor denen, die die zeit

schon kündet, auch wenn der
alltag sie verdrängen mag



©beatrix brockman

Dienstag, 3. Juni 2014

Worte zu Asche

wieder schulterst 
du
dämonen

kaum gelingt 
dir 
ein lächeln 

raunen sie

nicht gut genug
nicht schön genug
nicht dünn genug

konstant hast
 du
acht auf worte

sagen darfst du sie nicht
denken willst du sie nicht 
doch sie brennen

brennen 
so lange auf der seele
bis

du ihre asche 
in eine metapher gießt
und sie sprichst 

laut und deutlich 
und 
unverständlich

für die adressaten

© beatrix brockman

Samstag, 31. Mai 2014

ehe es dunkelt

letzte abendsonne

in den wipfeln von
zwei tulpenpappeln
orange-schnäbelig

braungefiedert ruft
ein weibchen ihren
kardinal — einsam

umflattert ein admiral
gelb ein dichtes grün
im hintergrund kopfunter

ein graues hörnchen
in der ursuppe schwimmen
munter kaulquappen

keinem ei entgegen
es sei denn es gehörte
der gemeinen mücke


©beatrix brockman

Sonntag, 25. Mai 2014

geklärt

sprechmüde schweigt sich
der tag durch meine stunden

kontemplativ wandert masche
um masche von einem holz

zum anderen, schweifen gedanken,
verirren sich, finden zurück

lauscht  dem grün meine seele
klärt sich wogend im salzmeer

von nun so lange ungeweinten
tränen wie butter zu ghee


© beatrix brockman

Montag, 19. Mai 2014

alle tage

welche maske welches
ich trag ich heut auf
mit meinem puderpinsel?

die lektionen die mich
lehrten nicht mein herz
auf der zunge zu tragen

sie waren hart. die lektionen
die mich lehrten nicht
in demut sondern aus angst

gebeugten hauptes zu schreiten
oder schweigend zu lächeln
und zu nicken — sie waren hart

zu einer schale sind sie nun
verstahlt, umschließen den kern
der nicht mehr keimt.  was bleibt:

mechanisch funktionieren, einen
schritt vor den anderen, hoffen
auf den tag an dem sich ein riss auftut

— dann spreche ich wieder wahr



©beatrix brockman

Freitag, 16. Mai 2014

heute nicht lemming

schwer liegt schweigen
auf dem herzen — draußen
keckert ein kardinal

drinnen panthert die seele
unruhig hinter stäben
aus mutlosem grau

lecken sieben pfund hund
das meer von wangen
ein kleines herz schlägt

warm und ganz nah
geht es steil hinab in
die tiefe am rand des ichs

— doch heute bin ich
nicht lemming
folge mir nicht hinab



© beatrix brockman

Sonntag, 4. Mai 2014

Unter Veneziern

und dann erkennst du
dass sie dir ein Iago war
dass sie die wahrheit sprach
und dich doch manipulierte

dass sie, der du vertrautest,
dir nicht nur in den rücken fiel
sondern auch den menschen
deiner welt mit derbem

pinselstrich ein bild gemalt
in dem dein schatten größer
als du selbst — dass andere sie
verführte als Emilia und

Roderigo ihr zur hand zu gehen
um deinen untergang zu fördern —
und du musst trotzdem weiter
gehen an Iagos seite unter

Veneziern deren wahrheit du
nie schaust und denen du
nie mehr vertrauen magst aus
furcht vor ungewetzten messern



© Beatrix Brockman

Donnerstag, 1. Mai 2014

Monika Kafka † 30. April 2014

und schweigst du auch
seit dieser nacht
nach leid, das wir nicht kannten
deine worte schweigen nie

sie werden uns erinnern
an die kraft, die du
 dem stift entlocktest
der tastatur abrangst

sie werden uns erinnern
an die menschen, die wir
nie gekannt an deine
leise mutter und auch

jene frau, die sie gebar.
wir wissen von dem land
dem du so fern und stets
so nahe warst von

siebenbürgen, dem nach
den worten, in den worten,
aus den worten immer
deine große liebe galt.

und lebst du weiter in den
worten, die ich nur stimmlos
kenn, doch in mir zum klingen
bringen ganze welten

die ich nur durch deine augen sah!




©beatrix brockman

Mittwoch, 23. April 2014

erste blätter

und ist ein grün
noch jung noch zart
noch unbeschrieben

und leuchtet doch so
voller saft als
wohnte ihm am

grauen morgen
schon die macht
der sonne inne

doch weder pinsel,
kamera, noch wort
finden die kraft

dem eindruck je
gerecht zu werden



©beatrix brockman

Sonntag, 6. April 2014

Butterfly Effect

manchmal zwischen
traum und wach
finden sich fragmente
fügen sich zu einem ganz
aus dem zusammenhang
der nie zuvor bewusst

auf einmal wird so klar
dass viele wenn
und noch viel mehr
wenn nicht wege
zu bereiten wussten
und dass nur sie

zum hier und heute
zum wie und was
zum dem was ich nun bin

geführt — und deutlich wird
dass nur der flügelschlag
des schmetterlings
im bauch von einer für den
anderen weichensteller
war für das was mir nun
kern und wesen ist




©beatrix brockman

Mittwoch, 12. März 2014

Gebärde ins blau

im tanzenden reigen
uralter träume
gebiert der frühling
ein herz aus hellem grün 

draus wird wachsen
eine gebärde ins blau
und gelb der weiten 
himmel deren weiß 
die wurzeln der träume 

mit weichem warmem 
frühlingsregen tränkt und
dessen sanfte berührung 
auch die seele nährt


(C) Beatrix Brockman 

Sonntag, 9. März 2014

Für einen Freund

du zagst und zauderst —
etwas will dir nicht behagen
wie wär's wenn du einfach
wieder plauderst und es hörst

was ich dir sagen will und werde
und schon hab? dass einfach
du wenn du nur bist und du
nur du bist — mit deinen ecken

deinen kanten, mit etwas charme
im herzen warm und auch nicht
ganz so ohne fehler — wer ist das schon?
wenn du einfach ohne zögern

mensch bist, wird ein netz sein
das dich hält auch wenn du fällst
wird kein seil dich fesseln balancierst
du über nesseln, aber wird dich fangen

in den menschlichen belangen
und dir flüstern fühl dich 
wohl denn's lebe wohl wär
störend, nein das will keiner hören!



© Beatrix Brockman

Montag, 20. Januar 2014

die reinste narretei

der verrat ist wie ein messer.
mit scharfer schneide gleitet
er glatt im rücken zwischen
die rippen und sticht das herz

keine luft will die lungen füllen
eine riesige faust windet ein-
geweide in gordischen knoten
voller angst und schmerz

ungläubig schaust du um dich
kannst dir nicht vorstellen was
diesen menschen bewegt — weißt
nur dein vertrauen war

die reinste narretei




©Beatrix Brockman

Sonntag, 5. Januar 2014

On Moving

It's a contemplative task
this moving of books from
one home to another. You
look onto their face, study
their back. Who will make
the cut? Who will need

good will? And in the new
room, in the new house, in
front of new shelves, you
wonder, too.  Your eye wants
to sort them by height and
color.  Your intellect cries

sacrilege. The alphabet is
no option either, which leaves
you with theme. And you start
feeling like a librarian without
call numbers as you sort books
by Theory or Shakespeare.

In the end,  you arrange them by
Suspicion, Dreams, or Modernity 
along the bifurcated lines of German
and English literature and old syllabi,
which funnily enough still sit
on dusty shelves behind your eyes.



© Beatrix Brockman