Montag, 14. Juli 2014

Brief an einen Tätowierer

so oft träume ich von einem baum auf meiner haut, der starke stamm links tätowiert von der schulter zu den lenden.  ein ast, er quert den rücken, reckt seine knospen in den rechten arm.  daran die blätter meiner lieben - für jeden eins oder doch lieber keins?
ein herabgefallenes soll liegen auf der rechten hüfte. es deutlicht die zäsur, den riss der unverwundbarkeit. denn nie zuvor betraf ein krank, ein sterben und ein tod die, die zu meinem kreis der meinen stets gehört.  als fiel dies erste blatt war es nicht "tod"; es war das sterben jenes wissens, dass "es" nur andere trifft. es war das beten, das vergeblich war, auf gottes taube ohren stieß, und das das joch nicht von dem kinde nahm, das meine schwester in den armen hielt.
dann fiel das zweite blatt.  krebs war durch den riss gedrungen,  zerfraß die nicht so heile welt, und nahm sie mit, die mutter eben dieses kindes, das lebenslang die mutter brauchen wird. sechs jahre brauchte dieses blatt für seinen weg vom ast zur tätowierten erde und oft ist mir als hing' es noch daran.
auch meines vaters blatt ward tätowiert mir auf die seite. auch dieses blatt ist längst noch nicht verdorrt in meinem herz und flimmert grün noch auf der iris meiner augen.  die aber wollen schon die zukunft schaun. verschämt und voller furcht frag' ich mich dann, wie wohl das nächste blatt dann heißen wird und wohin der wind des lebens es mir tätowiert.

 (2011)


erst gestern fiel ein neues blatt, ein herzensblatt, vom lebensbaum, das einer anderen auch wurzel war. noch lange wird's nicht dorren, denn gestochen auf die haut in sattem grün wird es memento sein. erzählen von dem los, das ihr kein leichtes war und doch das lächeln ihr nicht nahm.

14.07.2014


© beatrix brockman

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