Dienstag, 31. Dezember 2013

ich trage die lasten

ich trage die lasten
der welt auf den schultern
der kleinen, der meinen,
der welt der meinen

der welt der einen
deren  einsamkeit
ich nicht lindern kann
der welt der anderen

deren sorgen tief in
mir verinnerlicht
sich kapseln und
auch manchmal eitern

bis ich dem druck
nicht länger einhalt
bieten kann — dann
wünsch ich mir ein herz

aus eis, ein dickes fell
eine distanz, aus  der
der schmerz nur sicht-
aber nicht spürbar ist




© Beatrix Brockman

Einfach nur!

ein frohes neues Jahr!

seid behütet, liebe Leser und herzlichen Dank für Eure Treue!

Bea

Freitag, 20. Dezember 2013

adventus domini



"gegrüsset seiest du maria"
so sang ich einst als kind
und verkündete als engel
der gottesmutter ihren sohn

im kreise von fünf kindern
musizierten wir durch den advent
und naschten heimlich teig
wenn wir mit mutter buken

adventus domini, ankunft
des herrn — einst fastenzeit,
wunderschöne kindheit
erinnerungen im herz

und heute, wenn die vierte kerze
brennt, hat uns die werbungs
maschinerie weihnachten
schon längst vergällt und wartet

kaum bis zum hochfest bis sie die
diätmaschine in gang schmeißt.
— von besinnung auf uns selbst in
dieser oder jener hinsicht

keine spur!



@beatrix brockman

Dienstag, 17. Dezember 2013

schwerer denn je das herz

schwerer denn je
das herz wenn
in ersten augen

blicken eines morgens
nachtwelten bröckeln
wenn der geist nur

langsam sich aus
traumnebeln erhebt
im angesicht derselben

alltagstapete im schatten
ungestemmter gewichte
im ausgeliefertsein an
unbeeinflussbare mächte

dann möchte ich die ersten zeilen
des gelassenheitsgebets sprechen
doch die silben ersterben zu häufig

auf traurigen lippen


©beatrix brockman

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Joey


Ich wünsche dir einen Engel
der seine Flügel schützend über deine hält
der du das Fliegen erst noch lernen musst

Ich wünsch dir einen Engel
der deine Schritte lenkt, wenn deine
Füße dich an Klippen tragen

Ich wünsch dir einen Engel 
der dich berät wenn die Vernunft
in dir noch wachsen muss 

Ich wünsch dir einen Engel 
der deren Hände leitet, die dich 
lieben, leiten, und auch manchmal strafen

Ich wünsch dir einen Engel 
der dich kichern oder lachen macht
der dir das kleine und das große Staunen 

lang erhält und dir das was wir 
Großen Leben nennen noch lang 
vom Leibe hält.


(C) beatrix Brockman

Mittwoch, 11. Dezember 2013

Finals Week

Frost auf Blätterspitzen
nacktes Geäst, das sich ins Blaue streckt.
Studenten hasten eingemummelt
von Gebäude zu Gebäude
von Klausur zu Klausur.

Auf der Reklametafel
blinken unbeachtet von nervösen
Augen aufmunternde Worte —
Werbung für die Studentenzeitung
die Universität, die Mensa.

Mit der Natur geht auch die Uni
mit großen Schritten auf den
Winterschlaf zu.  Nur die grauen
Eichhörnchen sind noch nicht so weit.
Unbeirrt von der Kälte suchen sie

nach weggeworfenen Pommes,
Burger Buns oder Kartoffelchips.
Groß ihr Triumph, wenn sie mit
einer Brotkruste bewaffnet auf
dem Mülltonnenrand sitzen. Gut

dass sie beim Kauen nicht "Stille Nacht,
Heilige Nacht", oder "I'll be home
for Christmas" pfeifen können.


©Beatrix Brockman

Samstag, 7. Dezember 2013

Mein Barbaratag

Dies ist der Tag, der dir gehört.
Auch wenn die Saiten deiner
Mandoline schon lange gerissen.

Dies ist der Tag, der dir gehört.
Wenn wir dir heute eine Kerze
anzünden und dir zu Ehren

Zweige in eine Vase holen.  Dies
ist der Tag, der dir gehört.  Dieser
Tag im Advent, an dem wir dich

feiern, an dem wir dein Gedeck
auf den Gedankentisch stellen,
an dem wir dir eine Gedankentorte backen.

Dies ist ein Tag im Advent, der nicht
vom Kommen kündet, sondern vom
Gegangensein, von schmerzlichen Lücken,

die keine Kindheitsdüfte füllen mögen. Dies
ist mein Barbaratag, der sich immer jähren
wird und der mich manchmal wundern macht,

ob...




©Beatrix Brockman






Dienstag, 3. Dezember 2013

adventsreminiszenz

und so spinn' ich mir aus kindheitsfaser
violett in den dezember — zwirn hinein

den klang der stimme, die mir lieder sang,
füg hinzu den kammzug mit dem duft
von koriander, kardamom und zimt, von
äpfeln in der röhre, von gebäck auf heißem blech

— und so dreht sich meine spule auf
dem spinnrad und mit ihr ein faden
in dem ein hauch von gestern lebt



©beatrix brockman

Sonntag, 1. Dezember 2013

Zum ersten Advent

entschleunigt

einfach suchen nach
dem immer nach dem
grün im herzen nach
dem roten kerzenschein

einfach sie entzünden
diese flamme aus der
kindheit die die seele
herzt und spürt

einfach aus dem selbst den
funken und ein licht
der hoffnung nähren
eine hoffnung auf die zeit

in der wir selbst die
zeiger und die uhren
und die eigne welt ins
langsam dreh'n


©Beatrix Brockman

Dienstag, 26. November 2013

Vater



und wieder steht im schweigen
meine liebe
im schweigen, das nun ewig ist

an meinem finger
dreht sich das memento golden
mich erinnernd an

eine stille, räume flutend,
seiten die geblättert
an lungen, die nur widerständig

luft einsogen
auf deren klang ich lauschte im widerhall
des ungesagten 

während auch ich vorgab
zu lesen
und keine worte hörte oder sah


©Beatrix Brockman

Montag, 18. November 2013

selbst.hunger



Immer dieser hunger
nach dem erz, das aus
mir selbst ich schürfen
soll — nach dem metall,
das zur verhüttung muss
um dann als stahl
mein leben zu bewehren.

Immer dieser hunger
nach dem herz, aus dem
du mir nicht sagen
kannst, was lindert
meinen schmerz und
füllt das loch das einst
das fünfte rad  gerissen.

Immer dieser hunger
nach dem ganz, dem
vollen selbst, dem
muskulösen eigen
wert, der mehr als allen
stürmen dem monolog
in meinem herzen trotzt.


©Beatrix Brockman

Freitag, 15. November 2013

Wider.Stand




herbsten stürmisch wind und regen 
durch gefärbtes laub und entreißen
es in aufsteigenden wirbeln 
den tanzenden ästen. einzig
der ginko trotzt rank und schlank 
in tiefem grün und verweigert
dem Sturm seine satten blätter

Montag, 11. November 2013

Landeanflug II


rot pudert herbstlaub
die wangen von koniferen
an den mundwinkeln
des cumberlands entlang

fröhlich bunten bäume
in letzter schönheit
ehe sie sich skelettiert
auf weißem grund

gen himmel strecken müssen —
dann wird die seele von kopfkino
in sattem grün oder
terracotta-blättern zehren

bis im frühling wieder
zartes grün aus brauner
rinde blinzelt und einen
neubeginn verspricht



©Beatrix Brockman

Donnerstag, 31. Oktober 2013

herbstnebel

auf die haut
zeichnen mir nebel
nur kälte
aber schweigen ins
herz wo bunte
blätter längst
verbraunten und
vererdeten…


©beatrix brockman

Montag, 7. Oktober 2013

Landeanflug


wie bunte herbstblätter fallen
ungesagte worte durch schweigen
hoch über der stadt, deren sonst
so bekannte gesichtszüge nun golden
in straßenlampenlichtern funkeln

©Beatrix Brockman

Donnerstag, 22. August 2013

Reality Check III


schon früh morgens
brütet die sonne heiß
über häusern und asphalt

kurz vor dem einreihen
in die schnellfahrende
kolonne berufsverkehr

klagende augen
eines toten opossums
die pfoten zierlich unter

dem kinn gekreuzt.
auf der schnellstraße
gerade noch einer

schnappschildkröte
ausgewichen, deren
zeitlupenüberquerung

der siebenspurigen
sicher vom nächsten
oder übernächsten

fahrzeug einem
jähen ende überführt
werden wird.

schließlich winkt
traurig der buschige
schwarze schwanz

eines toten stinktiers
kurz vor ankunft
im büro. — manchmal

spüre ich meine
verwandtschaft mit
anderen säugetieren.


©Beatrix Brockman

Mittwoch, 3. Juli 2013

Tennessee-Summer


sie sind selten diese
verkehrsreichen nächte
an der stadtautobahn
die in einer kakophonie
konkurrierender vogelstimmen

verebben — wenn der sommer
im dunkel mal seinen heißen
atem hält und luft lau dem
schlaf erlaubt sich nicht wie
sonst hinter glasscheiben

und surrenden klimaanlagen
sondern sich lasziv vor einem
offenen fenster zu räkeln


©Beatrix Brockman

Mittwoch, 26. Juni 2013

mutter


und werden sie kleiner
die gesten krumm
gearbeiteter hände

schlafen nachmittage
länger und länger
kurzen nächten

entgegen beugt sich
der rücken ewigem
dunkel unter dem

damokles fremd
bestimmter tage
und hofft das herz

dessen heute sich
einsam durch die
leeren räume schlägt

dass es einst heimlich
still und leise seinen
abschied nehmen kann


©Beatrix Brockman



mother

and they become smaller
the gestures of labor
worn hands

afternoons sleep
longer and longer
into short nights

as a spine curves
into everlasting
darkness under

the damocles of
heteronomous days
and her heart

whose days beat
lonely through
empty rooms

hopes that one
day its good-bye
will be calm and quiet

©Beatrix Brockman

Samstag, 22. Juni 2013

Mittsommer

Ein lauer Abend
Kinder auf Glühwürmchenjagd
Tennessee-Summer

©Beatrix Brockman

Donnerstag, 6. Juni 2013

Bald in Ihrem Buchladen



Brockman, Beatrix M.

«Nur fliegend fängt man Worte ein»

Eva Strittmatters Poetik
Reihe: Women in German Literature - Band 17
Erscheinungsjahr: 2013
Oxford, Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Wien, 2013. 255 S., 1 Tab.
ISBN 978-3-0343-0948-6 br.  (Softcover)


Mit diesem Band erscheint die erste umfassende und kritische Auseinandersetzung mit dem veröffentlichten Werk von Eva Strittmatter (1930-2011), populäre Dichterin und Briefautorin in der ehemaligen DDR. Er zeigt auf, wie wichtig die Position Strittmatters als Lyrikerin zu nehmen ist, insbesondere da ihr Werk von einer umfassenden theoretischen Struktur untermauert ist. Ihre Gedichte zeichnen sich aus durch eine durchdachte Prosodie und einen vielschichtigen Aufbau; das öffnet ihnen den Zugang zu einer Vielfalt von Lesern.Beginnend mit einer Betrachtung von Strittmatters Prosaschriften, zeigt die Studie die Entwicklung Eva Strittmatters als Dichterin und die zunehmend theoretische Fundierung ihrer Texte auf. Hauptpunkte, die in diesem Band angesprochen werden, sind die Metapoetik und linguistische Aspekte, die Emanzipation durch Sprache – von der Sklavensprache zur Sprachfähigkeit –, Naturlyrik und Intertextualität. Diese Studie stellt die bisherige Annahme, dass es sich bei Eva Strittmatter um eine ostdeutsche Dichterin von minderer Signifikanz handelt, in Frage und demonstriert, dass ihr ein Platz in der ersten Reihe der großen deutschen Dichterinnen gebührt.


Beatrix M. Brockman arbeitet als Assistant Professor für Deutsch und Englisch an der Austin Peay State University. Sie erhielt 2012 den «Doctor of Philosophy» in Germanistik an der Vanderbilt University. Als Lyrikerin hat sie mehrere Gedichtbände veröffentlicht.

Das Bild auf dem Cover ist die wunderbare Skulptur "Lidschlag II" von Claudio!
 http://www.claudio-skulptur.de/skulptur81.html

Mittwoch, 22. Mai 2013

Es klingelt

und an der Tür steht ein Herr um die sechzig. Er hat einen Strauß Pfingstrosen in den Händen für meine Mutter und er weint bitterlich. Er hat sie gerade im Nachbargarten gepflückt, im Garten seines Elternhauses. Seine Mutter, die meiner Mutter 50 Jahre wie eine Schwester war, ist im letzten Jahr gestorben. Heute wird der Schlüssel an die Käufer des Elternhauses übergeben. Es hat ihn, dem wenig Herzlichkeit nachgesagt wird, wohl doch hart gebeutelt, das Gartentörchen ein letztes Mal hinter sich zu schließen.

Sonntag, 28. April 2013

blauer krokus

blauer krokus

das herz öffnen 
wie ein krokus 
im frühling vermag
ich nicht für jedermann

zu viele schubladen
halte ich geschlossen
lasse mir weder hinein
schauen noch mich stecken

auch versperrte 
türen haben so ihren sinn
ich muss nicht blau
strümpfig an blaubarts

frau erinnern


©Beatrix Brockman

Samstag, 16. März 2013

emerald coast


















die zeit des zehrens
ist gekommen des
zehrens von minuten
und sekunden als
smaragd an mein gemüt
die wellen schlugen
und mich füllten
voll mit leben
neuen kräften
wie schon lang
nicht mehr
nun gilt es zehren
mit gedanken
voller pelikane, puder
sand und dem delphin
der leise täglich
seine kreise tätowierte
in mein herz



©Beatrix Brockman

Sonntag, 10. März 2013

Wandschmuck


gerahmtes
bildnis einer
vielleicht innig
geliebten

der mensch
gelebtes leben
längst vergessen
hängt es

in einem lokal
das sich gern
mit antiquitäten
schmückt

© Beatrix Brockman


Cracker Barrel

framed
on the wall
picture of
a beloved perhaps

the woman
her life lived
long forgotten
hangs

in an eatery
where they love
to decorate
with antiques

@Beatrix Brockman

Mittwoch, 27. Februar 2013

fort

bist fort
so lange schon
das bett trägt noch
immer deine eindrücke
die decke verharrt 
aufgeschlagen
wie an dem tag nach
dem du deine 
koffer packtest



©Beatrix Brockman

Dienstag, 22. Januar 2013

Why do you love me



 Why do you love me? Hast du mich
gefragt. Und mir kommt nur eines
In den Sinn Ich lieb dich
zu den Tiefen, Breiten und den Höhen
die meine Seele finden kann und ich
will's dir sagen so wie dies Sonett, das
einer Frau* einst aus der Seele floss.
Doch ist es einfacher für dich zu hören
dass es die Liebe ist, für die ich dir nichts
schuldig bin, das Lachen, das die
dunklen Tage mir erhellt und dein
Begehren, das sich hübsch und hässlich
dick und dünn, nach mir nur reckt, das
meine Masken hinterblickt und mich,
ganz einfach mich, ganz einfach liebt
wie das Natürlichste der Welt.
Was es wohl wär, wenn ich mich auch
so liebte wie du mich!

© Beatrix Brockman

*Elizabeth Barrett Browning